75 Jahre Schaller

Seit 1945 am Markt gilt die Schaller GmbH in Postbauer-Heng bei Nürnberg heute als Weltmarktführer für Gitarrenkomponenten. Die legendäre Firma wird seit 2006 von Dr. Lars Bünning geleitet und zählt im Jubiläumsjahr etwa 80 Mitarbeiter. Aus der Musikinstrumentenbranche ist sie heute nicht mehr wegzudenken. Schaller liefert Präzisionserzeugnisse im Bereich der Musikinstrumentenhardware. Die Mechaniken, Stege, Tremolos, Strap Locks und weiteres Gitarren-Zubehör „Made in Germany“ kommen weltweit gut an. Und das hat Tradition.


Schwerwiegende Anfänge nach dem Zweiten Weltkrieg

Ende 1945 wurde die Firma zunächst als Einmannbetrieb in ganz bescheidenem Rahmen gegründet. Mit 22 Jahren begann Helmut Schaller (1923-1999) nach Ende des Zweiten Weltkrieges in einer neun Quadratmeter großen Werkstatt als Werkzeugbauer und Rundfunkmechaniker.

Für Schaller – wie für eine ganze Generation – markiert das Jahr 1945 eine tief greifende Zäsur – und einen Neuanfang in der deutschen Geschichte. Das Land, in das Schaller 1945 aus der Kriegsgefangenschaft heimkehrte, war weitgehend zerstört. Das war eines der Ergebnisse der zwölfjährigen Nazi-Herrschaft und des von den Nationalsozialisten verursachten Zweiten Weltkriegs, der fast sechs lange Jahre gedauert hatte. Die alliierten Kriegsgegner hatten mit vielen tausend Luftangriffen auf die nationalsozialistische Aggression reagiert. Die Hälfte der Wohnfläche war zerbombt, die Verkehrswege kaum benutzbar, die Kohle knapp und die letzten Kriegsvorräte aufgebraucht. Deutschlands Wirtschaft und Infrastruktur waren zusammengebrochen. Hinzu kamen Millionen Kriegsheimkehrer, Flüchtlinge und Vertriebene. Viele Millionen waren durch oder während des Krieges gestorben. Millionen Menschen, die überlebt hatten, mußten unsägliches Leid erleben. Wie baute man unter diesen Bedingungen eine neue Wirtschaft, ein neues Land, ein demokratisch-freiheitliches Staatswesens im Herzen Europas auf?


Anpacken und neu anfangen

Die meisten Menschen wollten den Krieg so schnell wie möglich hinter sich lassen. Sie wollten anpacken und etwas Neues aufbauen. Helmut Schaller gehörte definitiv zu denen, die nun loslegen wollten. Mehrere Jahre hatte er als Soldat der Wehrmacht gedient, war in US-Kriegsgefangenschaft geraten und machte sich unmittelbar nach seiner Entlassung ans Werk. Weil Schallers Heimatstadt Nürnberg in Trümmern lag, suchte er in der Umgebung nach einer Möglichkeit, seine Geschäftsidee Realität werden zu lassen. Im nahen Feucht bei Nürnberg wurde er fündig und begann in einem alten Bauernhaus im Ortszentrum, sich eine neue Existenz aufzubauen.


Knowhow und Erfindungsgeist

Schaller war dafür bestens vorbereitet und ausgestattet. Schließlich hatte er vor dem Krieg bei Diehl in Nürnberg Werkzeugbauer gelernt. Zudem konnte er sich während des Kriegsdienstes in Halle und Magdeburg auf Hochfrequenztechnik spezialisieren. So lag die Geschäftsidee auf der Hand. Schließlich verfügte er über die handwerkliche Qualifikation und das Knowhow, eine Radio- und Elektroreparaturwerkstatt zu eröffnen. Seine Leidenschaft zu tüfteln half ihm gerade bei schweren Reparaturen und angesichts des herrschenden Ersatzteilmangels über manche Hürde hinweg. Parallel dazu holte Schaller noch ausstehende Prüfungen erfolgreich nach und erhielt als Krönung seiner Bemühungen 1946 den Meistertitel zum Rundfunkmechaniker. In kurzer Zeit hatte er sich mit Reparaturen von Elektrogeräten einen festen Kundenstamm aufgebaut. Diese Kunden blieben ihm auch treu, als er 1948 sein Geschäft um einen Einzelhandel mit Rundfunk- und Elektrogeräten ergänzen konnte, die es nach der Währungsreform wieder zu kaufen gab. Zudem baute er in Feucht ein Möbelhaus auf und eine mechanische Fabrikation im Werkzeugbau.


Gesellschaftliche Engagement

Parallel dazu beteiligte er sich am Aufbau einer neuen Gesellschaftsordnung. Seine politische Heimat wurde die neu gegründete Christlich-Soziale Union (CSU). Seit den 1950er Jahren war er im Kreistag Nürnberger Land vertreten und errang 1958 sogar ein Landtagsmandat.


Ein Glücksfall für die Musikwelt

Aus dem Feuchter Radiogeschäft entwickelte sich bereits in den frühen 1950er Jahren die eigene Entwicklung und Herstellung von Lautsprechern und Verstärkern für Musikinstrumente unter dem Namen „Schaller Electronic“. Dies erfolgte dank eines Zufalls, der sich für die Musikbranche als wahrer Glücksfall erwies.
Vermutlich bereits 1949 traf der umtriebige Feuchter Jungunternehmer den nur sechs Jahre älteren ebenso geschäftstüchtigen Framus-Chef Fred Wilfer. Aus dem Sudetenland vertrieben hatte der maturierte Handelsakademiker Wilfer ab Januar 1946 den ersten sudetendeutschen Musikinstrumentenbaubetrieb in Bayern aufgebaut: die Fränkische Musikinstrumenten-Erzeugung Fred Wilfer (Framus). In seiner Heimatstadt, der Musikstadt Schönbach (heute Luby u Chebu in Tschechien) hatte der Saiteninstrumentenbau eine lange Tradition. Seit 1945/1946 im Raum Erlangen ansässig, wurde für Wilfer und seine Landsleute aus Schönbach eine eigene Siedlung in Bubenreuth gebaut, etwa 20 km nördlich von Nürnberg und damit unweit von Schallers Radiogeschäft.


Gitarrenboom

Im Zuge der modernen Musikstile baute Framus bald nicht mehr ausschließlich Geigen, Zithern und Konzertgitarren: Zunehmend waren Jazzgitarren gefragt. Ein regelrechter Gitarrenboom war auszumachen. Dabei galt es, der Gitarre gegenüber den anderen Instrumenten in den modernen Bands durch Tonabnehmer und Verstärker mehr Gehör zu verschaffen. Bereits 1948 hatte Wilfer daher damit begonnen, eine eigene Fertigung für Gitarrenelektronik aufzubauen. Doch stieß er damit rasch an die Grenzen des Möglichen, hatte er ohnehin alle Hände voll damit zu tun, die Produktionskapazitäten für die Gitarren-Erzeugung zu erweitern. Eine mit Schaller geschmiedete Geschäftsbeziehung brachte Anfang der 1950er Jahre die Lösung. Wilfer konnte Schaller damals überzeugen, Verstärker und Tonabnehmer exklusiv für Instrumente der Firma Framus zu entwickeln und zu bauen. Die Produktion von Gitarrenelektronik wurde mit diesem Schachzug nicht nur ausgelagert, sondern auch professionalisiert. In Helmut Schaller fand die Aufgabe den richtigen Mann. Schaller selbst hatte damit sein eigentliches Metier gefunden, er konnte mit großer Leidenschaft durch Innovationen und Erfindergeist bedeutende Akzente setzen: die moderne Gitarre und ihr Zubehör.


Hollywood Gitarre

Über mehrere Jahre hinweg stand die „Abteilung Electro-Akustik der Fa. Fred Wilfer KG“ unter der Leitung der „Fa. Radio Schaller“. Letztere avancierte zum Marktführer in Europa, wie es in einer Pressemitteilung von Framus aus dem Jahr 1957 voller Stolz heißt. Mit Elektronik für Lapsteel- und Hawaii-Gitarren konnte Schaller erste wichtige Schritte gehen. Von großer Bedeutung waren zudem seine Pickups für Archtops, also Jazzgitarren oder wie sie damals in Deutschland hießen: Schlaggitarren. Ein genialer Coup gelang den beiden Jungunternehmern Schaller und Wilfer schließlich mit dem Gitarrenmodell „Hollywood“. Mittlerweile begannen sog. „Solidbody-Gitarren“, die in den USA entwickelt worden waren, an Popularität zu gewinnen. Mit den verschiedenen „Hollywood“-Modellen kamen erstmals deutsche Elektro-Gitarren auf den Markt, die schon dank des gut gewählten Modellnamens, der den damals ersehnten „American Way of Life“ verhieß, die Neugierde des Publikums weckten.

Dabei gingen bei den Hollywood-Instrumenten traditionelles Instrumentenbau-Handwerk, innovative Gitarrenelektronik und modernes Marketing eine zukunftsweisende Symbiose ein. Im Framus-Werbeprospekt hieß es zu den neuartigen E-Gitarren: „Sie sind das Ergebnis jahrelanger Entwicklungsarbeit auf dem Gebiet der Elektro-Akustik in Verbindung mit traditioneller und moderner Gitarrenbaukunst.“ Mit zwei oder drei Tonabnehmern ausgestattet, mit einem Cutaway oder symmetrisch mit zwei Ausbuchtungen versehen, als Gitarre oder als Bass – legten Schaller und Framus gleich eine ganze Serie von „Hollywood“-Instrumenten auf, die die Herzen von Gitarristen höher schlagen ließen. Ein Jahr später konnten die „Hollywoods“ mit einem eigens designten Vibrato-System aufgerüstet werden, das natürlich auf Helmut Schallers Experimentier- und Innovationsfreude zurückzuführen war.


Phoenix im Music-Biz

Bald wandte sich Schaller auf Anregung von Wilfer und aus Gitarristen-Kreisen anderen problematischen Feldern der modernen Gitarre zu. Wie könnte diese Frage am besten gelöst werden? Wie könnte jenes Problem abgestellt werden? Jedem vorgetragenen Anliegen widmete Schaller größte Aufmerksamkeit und fand eine zufriedenstellende, bisweilen bahnbrechende Lösung. Tremolos, Volume-Pedale, Echo- und Hallgeräte, Verzerrer, Effektgeräte, Stege – für alles hatte Schaller die adäquaten Antworten parat. Mittlerweile war nicht mehr ausschließlich Framus Abnehmer der Schaller Produkte, sondern auch andere Bubenreuther und deutsche Gitarrenhersteller wie Höfner, Hopf, Hoyer und Klira. Etwas später kamen die amerikanischen Gitarrenbauer Fender, Gibson, Martin und Ovation als Kunden von Schaller hinzu. Sogar die Deutsche Demokratische Republik kaufte für teure Devisen bei Schaller in der Bundesrepublik ein, um ihre Markneukirchner Gitarrenproduktion konkurrenzfähig zu machen. Der Ruf von Schaller hatte sich selbst über den eisernen Vorhang hinweg herumgesprochen.


Die Krönung: Mechaniken

Der englische Jazzgitarrist Ivor Mairants brachte die Bedeutung der bayerischen Firma für die Musikbranche auf den Punkt, die binnen fünfzehn Jahren vom kleinen Radiogeschäft zum wichtigsten europäischen Gitarrenzubehör-Zulieferer avanciert war. Ivor Mairants – ein Kenner des Music-Business und in gleichem Maße virtuoser Musiker – lobt in seiner Autobiographie „My Fifty Fretting Years“ aus dem Jahre 1980 die Firma Schaller rückblickend: „Helmut Schaller […] being a fine engineer, had produced amplifiers, pickups and guitar leads, but his ace card was in the production of geared machine heads. These were giving Grover machine heads a very good run and, in fact, overtaking them.“ 1966 wurden Mechaniken erstmals ins Portfolio aufgenommen. Die Mechanik „M6“ war die weltweit erste vollgekapselte und selbstsperrende Präzisionsmechanik. Ab 1967 verwendeten Markenhersteller wie Ovation, Gibson und Martin Schaller-Mechaniken. Auch Fender stieg 1976 auf Schaller-Mechaniken um und steht bis heute in Geschäftsbeziehung mit Schaller.


Expansionskurs

1968 zog die Firma von Feucht nach Postbauer-Heng in eine neue und moderne Produktionsstätte um. In den 1970er Jahren kamen unter anderem Bassmechaniken (M4), Stege (einschließlich TOM-Stege für Gibson-Gitarren) sowie weitere Varianten von Tonabnehmern (Golden 50, S6, T6) zum Portfolio hinzu. 1977 klopfte Floyd Rose mit einer Idee eines Double-Locking-Tremolos bei Schaller an. In einem gemeinsamen Workshop wurde über drei Monate hinweg im Hause Schaller dieses neuartige Tremolo entwickelt und ab 1980 bei Schaller produziert und auf den Markt gebracht. Mit Beginn der 1980er Jahre wurde die Produktion von Lautsprechern, Verstärkern und Hallgeräten eingestellt. 1981 entwickelte und patentierte Schaller die Security Locks, mit denen eine sichere Verbindung zwischen Gitarre und Gurt erreicht wird. Sie sind bis heute das meistverkaufte Schaller-Produkt.


Ausufernd und orientierungslos

Bis zum Tod von Helmut Schaller 1999 und seinem Sohn René Schaller (1953 – 1998) wurde das Produktportfolio stetig erweitert (etwa um Geigenzubehör, Kabel u. v. m.). Sogar Spezialmaschinen für Saiten wurden im eigenen Hause zur Entwicklungsreife gebracht und gebaut. Allerdings konnte bei allen diesen Bemühungen an vorherige Erfolge nicht mehr angeknüpft werden. In den Jahren nach Helmut Schallers Tod führte eine Erbengemeinschaft zusammen mit der Witwe Grete Schaller (1926 – 2007) die Firma weiter, ohne jedoch nachhaltige Impulse für neue Produkte setzen zu können. Im Gegenteil: Die Firma häufte Schulden an und geriet in eine prekäre finanzielle Schieflage. Allein die Belegschaft konnte weiterhin dank langjähriger Erfahrung und dank ihres Knowhows die hohe Qualität der Erzeugnisse sicherstellen und das Überleben des Unternehmens sichern. Ihr Durchhaltevermögen kann nicht hoch genug eingeschätzt werden.


New Schaller

Der Befreiungsschlag erfolgte in der zweiten Hälfte der 2000er Jahre in zwei glücklichen Schritten. Im August 2006 wurde die Firma Schaller von einer Personengesellschaft in eine GmbH umfirmiert. In diesem Zusammenhang wurde Dr. Lars Bünning zum Geschäftsführer bestimmt, der sich mit dem Unternehmen vom ersten Moment an voll identifizierte und nun die entscheidenden Weichenstellungen für die Zukunftssicherung des Unternehmens vornahm. Folgerichtig hat Dr. Bünning schließlich im Januar 2009 von der Familie die GmbH-Anteile übernommen und fungiert seither als Geschäftsführender Gesellschafter von Schaller. Seit 2007 konzentriert sich die Firma auf die Strategie „Qualität, Innovation und Service“ und auf den Bereich der Gitarrenhardware. Zum Fertigungsprogramm zählen heute Mechaniken (GrandTune Series, M6 Series, Replacement-Mechaniken und Bassmechaniken), Stege und Steghalter (Signum, Hannes, TOM- und 3D-Stege), Tremolos (LockMeister, Schaller und Vintage), Zubehör (S-Locks), Preamps („Flagship“), Piezotonabnehmer (Oyster) und Megaswitches sowie Tonabnehmer-Rahmen und -Kappen. Die Produktion von elektromagnetischen Tonabnehmern wurde 2017 eingestellt. Diese Konzentration auf feinmechanische Produkte erwies sich als strategischer Schachzug, der sich schließlich 2016 in der Umfirmierung von „Schaller Electronic“ zu „Schaller GmbH“ niederschlug.


2020: Das Schaller-Team im Zeichen der Modernisierung

Nach wie vor hält Dr. Bünning am Standort Deutschland fest. Alle Produkte werden im Werk in Postbauer-Heng mit größter Sorgfalt von mitunter jahrzehntelang bei Schaller tätigen Mitarbeitern auf dem denkbar höchsten Qualitätsniveau gefertigt. Die Mitarbeiterzahl liegt im Jubiläumsjahr bei rund 80. Seit einiger Zeit wird nach weiteren Fachkräften gesucht, die das Schaller-Team verstärken sollen. Die stetig vorangetriebene Automatisierung der zurückliegenden Jahre hat sich mittlerweile ausgezahlt. Die neu eingerichtete Dreherei mit den präzisesten CNC-Maschinen, modernste Zinkdruckgußmaschinen und Automaten/Roboteranlagen waren dabei die sichtbarsten von mehreren zentralen Investitionen, die den Erneuerungswillen des Unternehmens widerspiegeln und die Konkurrenzfähigkeit auf dem Weltmarkt sichern. Dieser Modernisierungsschub war in gleichem Maße grundlegende Voraussetzung für die Verbesserungen und Updates an bewährten Erzeugnissen wie für die Entwicklung und die Produktion von neuen und innovativen Schaller-Produkten von höchster Präzision. Die Kunden – mittlerweile je zur Hälfte Gitarrenhersteller und Endkunden (Musiker) – wissen dies zu schätzen. Mit Fug und Recht gilt daher im Jubiläumsjahr der von Dr. Bünning kreierte Claim des Unternehmens:

"Schaller - The Original Innovators"